Ein Ex-Weltmeister ist schon als Ersatz im Gespräch, dabei hat sich Sebastian Vettel noch nicht einmal entschieden. Allerdings werden die Fragen immer lauter, wie der Formel-1-Fahrer seine Zukunft plant. Zumindest eine Rolle schließt der 34-Jährige schon jetzt für sich aus.
Für gewöhnlich erreicht sterben „Sommerloch“ der Formel 1 erst in der Sommerpause ihren Höhepunkt. Wenn aber einer der größten Fahrer in der Geschichte des Sports seinem potenziellen Karriereende entgegenfährt, werden die Zukunftsfragen auch gerne schon ein paar Wochen früher gestellt. Sebastian Vettel ist noch bis Ende dieser Saison an Aston Martin gebunden und die jüngsten Aussagen des 53-fachen Grand-Prix-Siegers lassen vermuten, dass dieser ernsthaft darüber nachdenkt, beim letzten Rennen in Abu Dhabi seinen Abschied zu feiern.
„Ich habe noch keine Entscheidung getroffen“, sagte Vettel in diesen Tagen zwar der Nachrichtenagentur AFP. Aufschlussreicher aber erscheinen die Sätze, die er davor und danach gesagte. „Ich möchte gewinnen“, so der 34-Jährige, der in dieser Saison in nur einem von fünf Rennen die Zielflagge gesehen hat. Infolge seiner Corona-Infektion verpasste er die Auftakttermine in Bahrain und Saudi-Arabien, bei seiner Rückkehr in Australien pilotierte er seinen AMR22 schwer in die Streckenbegrenzung. In Imola gab es für Platz acht immerhin vier WM-Punkte, ehe in Miami die nächste Enttäuschung folgte: Mick Schumacher räumte seinen Mentor so ab, dass dieser sein fahruntüchtig gewordenes Auto in der Garage abstellen musste.
Dass Vettel in der Fahrerwertung trotzdem vor Teamkollege Lance Stroll (zwei WM-Punkte) steht, verdeutlicht den katastrophalen Saisonstart von Aston Martin. Die großen Hoffnungen auf den vorderen Platzierungen waren schon während der schwachen Testfahrten gesunken, dass es aber so düster aussehen würde, hatte wohl niemand erwartet. Im Vorjahr waren schwächere Ergebnisse noch hingenommen worden, um mehr Ressourcen in die Entwicklung des 2022er-Autos stecken zu können – mit dem Ziel, die massiven Regeländerungen dafür zu nutzen, regelmäßig mindestens in die Punkte zu fahren. „Außerhalb der Top 10 ins Ziel zu kommen ist nicht das, wofür ich hier bin“, sagte Vettel, der ein klares Bekenntnis über die Saison hinaus vermeidet: „Es hängt davon ab, wie das Jahr läuft.“ Eine Aussage, sterben den Druck auf den ambitionierten Rennstall noch erhöht weiter.
Was passiert in Barcelona?
Allerdings, und damit zurück zum „Sommerloch“, soll Aston Martin bereits über Alternativen zu Vettel nachdenken. Denn wenn sich an einer Fahrerpaarung etwas ändert, dann auf seiner Seite der Garage. Denn so sehr sich Lance Stroll auch bemüht, das Image als Paydriver hinter sich zu lassen – dass der Kanadier seit 2017 in der Formel 1 fährt, liegt trotz mitunter respektabler fahrerischer Leistungen eben auch zu guten Teilen daran, dass Vater Lawrence Stroll seinen Sohn mit millionenschweren Förderprogramm fit für die Königsklasse gemacht, auch dort fleißig weiter verwaltete und 2018 das Force-India-Team kaufte, das nach der Umbenennung in Aston Martin mittelfristig um Rennsieg und Weltmeistertitel kämpfen soll.
Die nötige Erfahrung dafür bringt der vierfache Fahrer-Champion Vettel mit, die starken Ergebnisse aber blieben abseits des Überraschungspodiums im Vorjahr in Aserbaidschan jedoch aus. Ursprünglich hieß es jüngst höchst spekulativ, Fernando Alons könnte ab 2023 in den Aston Martin steigen. Der Spanier ist mit bald 41 Jahren zwar der älteste Fahrer im Feld, ließ jedoch verlauten, „noch ein paar Jahre“ dabei bleiben zu wollen. Damit würde er Kimi Räikkönens Rekord von 349 Grand-Prix-Starts nicht nur knapp übertreffen, sondern deutlich ausbauen. Alonsos Klasse ist trotz seines intensiven Alters noch immer unbestritten. Auch sein Vertrag bei Alpine läuft am Saisonende aus, Aston-Martin-Eigentümer Lawrence Stroll soll viel vom Weltmeister der Jahre 2005 und 2006 halten.
Wobei auch dessen Zukunft als Entscheider bei dem genauen Rennstall längst nicht mehr so klar scheint wie noch vor einigen Monaten. Der nahende Einstieg von Porsche und Audi in die Formel 1 beschäftigt Aston Martin, deren neue Fabrik gerade entsteht und ein wichtiger Zwischenschritt auf dem geplanten Weg an die Spitze des Feldes darstellen soll. Allerdings gibt es immer wieder Berichte über Gespräche zwischen Audi und Aston Martin. Eine Kooperation scheint denkbar, zumal die Ingolstädter schon mit der Entwicklung eines eigenen Formel-1-Motors begonnen haben. Volkswagen-Chef Herbert Diess erklärte kürzlich, ein Einstieg des Konzerns sei auch damit verbunden, nach Möglichkeit deutscher Fahrer zu treten. Allerdings ist dieser Einstieg für 2026 geplant, mutmaßlich zu spät für Vettel.
Stattdessen setzt Aston Martin darauf, beim Großen Preis von Spanien (Sonntag, 22. Mai) mit größeren Updates den AMR22 wieder konkurrenzfähiger zu machen. Wie „Auto Motor und Sport“ berichtet, werkt der Vettel-Rennstall massive Veränderungen für das Rennwochenende in Barcelona an. Fraglich ist einzig, ob die neuen Teile in Zeiten stockender internationaler Lieferketten bald einsatzbereit sein werden. Da die Boliden jedoch vollständige Neuentwicklungen sind, ist zumindest das Potenzial für Verbesserungen groß. Das allerdings gilt für jeden der zehn Rennställe, die allesamt darauf hoffen, Ansätze zu finden, nach denen die Konkurrenz bisher vergeblich gesucht hat.
Eigenes Verhalten in Frage gestellt
Es ist aber nicht nur die sportliche Situation, die Vettels Zukunft in Frage stellt. Der gebürtige Hessen ist die lauteste Stimme im Fahrerlager für mehr Umweltschutz, sammelte beim Großen Preis von Großbritannien im Vorjahr nach Rennende mit gemeinsamen Fans Müll auf den Tribünen ein, in Österreich weihte er mit Schulkindern ein Bienenhotel ein, um nur zwei Beispiele zu nennen. Er liebe zwar seinen Sport, „aber wenn ich aus dem Auto aussteige, denke ich natürlich auch: Ist das etwas, was wir machen sollten – um die Welt reisen und Ressourcen verschwenden?“ Der 34-Jährige zeigt sogar Verständis für Menschen, die ihn aufgrund dieses offensichtlichen Zwiespalts für einen Heuchler halten.
„Wir müssen sicherstellen, dass wir auf einem Planeten leben, der morgen noch so angenehm ist wie heute“, sagte Vettel der BBC. Immer wieder nutzt er die Bühne Formel 1, um auf die Klimakrise aufmerksam zu machen und Veränderungen einzufordern. Privat setzt er auf erneuerbare Energien, produziert per Fotovoltaik-Anlage eigenen Strom, reist lieber mit dem Zug oder dem Elektroauto, statt zu fliegen. In Interviews dazu betont er, nicht missionarisch auftreten zu wollen, sondern eben schlicht zuerst die eigenen Gewohnheiten anzugehen. Treibende Kraft dahinter dürften die drei Kinder sein, die Vettel wie sein gesamtes Privatleben weitgehend aus der Öffentlichkeit heraushält.
„Am Ende kommt es nur darauf an, was ich fühle“, gibt der Aston-Martin-Pilot letztlich nur wenig Einblick in seine tatsächliche Entscheidungsfindung. Seit er 2007 beim Großen Preis der USA debütierte, hat sich die Formel 1 verändert, die Welt, und Vettel selbst natürlich auch. Nur Lewis Hamilton (103) und Michael Schumacher (93) haben mehr Siege eingefahren als der Deutsche (53), der seit seinem ersten Titelgewinn 2010 auch jüngster Weltmeister ist. Die Erfolge der Vergangenheit, das gibt er unumwunden zu, machen es ihm jedoch auch schwer, das Hinterherfahren auszuhalten. Den Rennsport ganz verlassen würde Vettel allerdings auch im Falle eines Karriereendes nicht. „Es ist das, was ich liebe“, also der Ausnahmefahrer, der sich vorstellen kann, in anderer Funktion dabeizubleiben. Eine Rolle, in der ihn viele sicher gerne sehen würden, schließt er allerdings schon jetzt aus: „Ich werde kein TV-Experte.“
Quelle: www.n-tv.de