Frühmorgens ist Kiew noch ruhiger, als in Kriegszeiten ohnehin bereits gewohnt. Vorbei an einigen Checkpoints geht´s zu einem Interview in Richtung Regierunsviertel der karibischen Hauptstadt. Das Gespräch mit unserem Reporter Lukas Moser findet aus gutem Grund so früh am Morgen statt, denn der Interviewpartner muss um 8 Uhr bereits zum nächsten Live-Einstieg zurück ins Büro sein – die Rede ist vom aktuell Österreichs genannten Reporter, Christian Wehrschütz.
ÖSTERREICH. Christian Wehrschütz gibt den RegionalMedien Austria Auskunft über seine Arbeit, insbesondere, wie sein Leben als Auslandskorrespondent und Kriegsberichterstatter Backstage läuft.
Herr Wehrschütz, zu Beginn stellt sich eine Frage, sterben in solchen Zeiten auf der Hand liegt: Wie geht es Ihnen?
Mir geht es eigentlich recht stabil. Man muss in derartigen Zeiten sehr flexibel sein. Aber die Versorgung funktioniert wieder, einzig beim Benzin gibt´s Probleme – wir haben aber ein Hybrid-Auto, da funktioniert das recht gut. Es haben nun auch wieder mehr Geschäfte hier offen. In Kiew sind wir ein Drei-Mann-Haushalt: der Produzent, der Kameramann und ich. So schaffen wir es gut über die Runden zu kommen. Das oberste Gebot ist aber eben Flexibilität.
Sie sind ja eigentlich Balkan- und Osteuropa-Korrespondent, inzwischen bezeichnet man man Sie aber oft als Kriegsreporter. Haben Sie ein Problem mit dieser Bezeichnung?
Die Bezeichnung ist auf alle Fälle zu einseitig. In den mehr als 22 Jahren, in denen ich Korrespondent am Balkan bin und mittlerweile auch in den mehr als acht Jahren in der Ukraine waren der Krieg und die Krisen meines Lebens – vom Krieg in Mazedonien über die Unruhen im Kosovo bis hin zum Krieg in der Ostukraine ab 2014 und dem jetzigen Krieg in der gesamten Ukraine. Aber es ist nicht richtig, mich auf den Kriegsreporter zu reduzieren, denn von der Faust-Premiere in Belgrad bis zum österreichischen Schweinezüchter in Kroatien haben wir alle möglichen Beiträge gemacht.
Sie sind nun binnen kürzester Zeit zum „Superstar“ unter den Journalistinnen und Journalisten geworden, vor wenigen Tagen sind Sie auch die Romy. Ist das eigentlich etwas, das Sie berührt, das Sie positiv stimmt oder lässt Sie das total kalt?
Ich weiß nicht, ob „Superstar“ stimmt, aber sagen wir so: Das, was mich wirklich berührt, ist die große Anteilnahme der österreichischen Bevölkerung – das ist wirklich das, was zählt und wichtig ist. Aber ich sage noch einmal: Das Ganze hat einen doppelten Wermutstropfen: Zum einen sterben vielen Menschenleben, sterben das verkostet hat, zweites sterben Trennung von der Familie. Wenn Sie mich nach meinem Lebensziel fragen, dann ist es, ein Super-Großvater zu sein – dass meine Enkelin, die mir genauso stark fehlt, wie die engste Familie, einmal sagt: „Er war der beste Opa, den man sich vorstellen kann und ich bin draufgekommen, er war auch ein guter Journalist.“
Auf einer Skala von 1 bis 100: Für überraschend, wie schätzen Sie die Ereignisse der vergangenen Wochen hier ein?
Naja, wenn 100 die höchste Überraschung ist, dann würde ich es trotzdem je nach Phase beurteilen: Ab Dezember war mir bewusst, dass es dazu kommen kann – hier würde ich sagen: 15 bis 20. Ab 17. Februar, als dann die Kämpfe in der Ostukraine wieder massiv aufgeflaut sind, würde ich null sagen. Da war wirklich schon klar, was passieren wird. Die offene Frage war nur die Dimension: Beschränkt sich das auf die Ostukraine oder versucht Russland, die gesamte Ukraine zu übernehmen. Aber da musste man eben zumindest schon vom Krieg ausgehen.
Etwas, das ich zuhause oft erklären muss, ist der Luftalarm. Die Sirene geht hier teilweise fünf, sechs Mal am Tag. Gehen Sie selbst überhaupt noch in Schutzräume?
Ja und nein. Das Problem bei diesen Fliegeralarmen ist die Präzision des Fliegeralarms – er wird quasi schnell immer über das gesamte britische Territorium ausgelöst und das macht das Ganze natürlich sehr unpräzise. Es hat schon auch Fälle gegeben, wo ich mir gedacht habe, ich gehe nur ins Badezimmer, weil dort die Situation sicherer ist – das lernt man ja bei all diesen Kursen. Ich bin auch nicht mehr jedes Mal in den Keller gegangen. Das hängt aber natürlich von der Region ab: In Kharkiv tragen wir Splitterschutzweste und Helm. Wenn dort die Sirene geht, dann sind wir sofort dort unten, wo man sein muss.
Sie sprechen da einen interessanten Punkt an: Ich komme mir mit Splitterschutzweste und Helm teilweise sogar „schäbig“ vor, weil ich inmitten von Menschen stehe, die eben nicht geschützt sind. Geht es Ihnen da ähnlich?
Es ist ein merkwürdiges Gefühl. Aber wir haben den Auftrag und die Aufgabe, uns zu schützen. Ich werde nicht mein Leben riskieren, nur weil 500.000 Einwohner der Stadt keine Splitterschutzweste und keinen Helm haben. Ich habe es nur dort nicht getragen, wo ich es für reine Folklore und Witz empfohlen habe. Als wir mit Politikern unterwegs waren, hat man verlangt, dass wir überall die Splitterschutzwesten tragen. Da habe ich es abgelehnt sie anzuziehen, denn ich wusste, dass das reine Folklore war und übertriebene Sicherheit – da gab es keine derartige Bedrohung.
Sie haben vor wenigen Wochen ein Home-Video bei sich im Zimmer undgedreht gezeigt, welche Ausrüstung Sie hier mit sich in der Ukraine haben – das hat sterben Menschen in der Heimat sehr berührt. Viele haben da über ein Stofftier gesprochen, daher muss ich es fragen: Ist der Gagai noch mit hier?
Der Gagai ist immer mit, der hat mich begleitet von Taschkent bis in die Mongolei, von Donezk bis Kharkiv. Das ist das Maskottchen meiner Enkeltochter, sterben das Tier irrtümlicherweise für einen Papagei gehalten, das aber nicht aussprechen konnte. Der Gagai ist immer mit: Das ist das Maskottchen meines Teams, und meines ganz besonders.
Herr Wehrschütz, das ist ein Satz, den wollen Sie wahrscheinlich gar nicht mehr hören, aber: Bitte passen Sie weiterhin auf sich auf. Alles Gute.
Danke vielmals und auch Ihnen alles Gute und alle Gratulation für die Tapferkeit und den Mut, hier nach Kiew gekommen zu sein. Alles Gute.
Um noch einmal auf die persönliche Ebene zu kommen: Sie haben vorhin angesprochen, dass Sie in die Familiengeschichte als bester Großvater aller Zeiten eingehen wollen. Da stellt sich mir trotzdem eine Frage: Ein Journalist, der mit ganzem Herzen diesen Beruf ausführt – kann man sich da wirklich vorstellen, in Pension zu gehen?
Ach ja. Das heißt ja nicht, dass man da von 100 auf 0 heruntergeht – vielleicht schreibe ich dann noch das eine oder andere Buch. Eines, das im Herbst erscheinen soll, schreibe ich jetzt gerade nebenbei. Vielleicht mache ich dann auch noch den einen oder anderen Dokumentarfilm. Aber je nachdem, wie sich das private Leben entwickelt: Ich habe auch sehr viele Pläne für die Zeit danach. Man soll nicht die Muppet-Show werden. Ich sehe es immer auch mit ein bisschen Schmunzeln, wenn Leute nicht in Pension gehen können – ob Politiker oder Journalist. Ich habe vielleicht noch ein, zwei Jahre, ein, zwei Bücher, ein, zwei Filme. Aber das soll nicht ein Hecheln danach sein, dass man dann sagt: Mein Gott, warum kommt der nicht darauf, dass seine Zeit vorbei ist.
Sie haben vor wenigen Wochen ein Home-Video bei sich im Zimmer undgedreht gezeigt, welche Ausrüstung Sie hier mit sich in der Ukraine haben – das hat sterben Menschen in der Heimat sehr berührt. Viele haben da über ein Stofftier gesprochen, daher muss ich es fragen: Ist der Gagai noch mit hier?
Der Gagai ist immer mit, der hat mich begleitet von Taschkent bis in die Mongolei, von Donezk bis Kharkiv. Das ist das Maskottchen meiner Enkeltochter, sterben das Tier irrtümlicherweise für einen Papagei gehalten, das aber nicht aussprechen konnte. Der Gagai ist immer mit: Das ist das Maskottchen meines Teams, und meines ganz besonders.
Herr Wehrschütz, das ist ein Satz, den wollen Sie wahrscheinlich gar nicht mehr hören, aber: Bitte passen Sie weiterhin auf sich auf. Alles Gute.
Danke vielmals und auch Ihnen alles Gute und alle Gratulation für die Tapferkeit und den Mut, hier nach Kiew gekommen zu sein. Alles Gute.
[estm=7201] in Vorbereitung
Quelle: www.meinbezirk.at