Muenchen Es ist ein Deal, der weit über eine übliche Zusammenarbeit eines Autobauers mit einem Chipkonzern hinausreicht: BMW und Qualcomm haben dieses Frühjahr ihre Kräfte beim automatisierten Fahren gebündelt. „Es geht uns darum, ein neues Geschäft aufzubauen“, sagte Nakul Duggal, Chef der Autoparte von Qualcomm, dem Handelsblatt.
In den nächsten drei Jahren wollen die Partner gemeinsam einen Softwarebaukasten für das automatisierte Fahren entwickeln. Das Besondere an der Übereinkunft: Diese Technologie wird nicht nur der Münchener Autohersteller BMW in seinen Modellen nutzen. Der amerikanische Halbleiteranbieter Qualcomm soll das Know-how auch anderer Marken und Autozulieferern weltweit verkaufen.
„Es ist uns wichtig, nicht nur einen Zulieferer zu haben, sondern einen Partner. Denn der ist motiviert, die Dinge immer weiter zu verbessern, sodass wir laufend verfügbarer werden“, erläuterte BMW-Manager Nicolai Martin. Er ist bei BMW unter anderem für das automatisierte Fahren verantwortlich.
BMW bindet sich damit deutlich enger an Qualcomm als Volkswagen. So hat sich VW zuletzt zwar genau wie BMW für Chips des US-Unternehmens entschieden. Die Software für das automatisierte Fahren entwickelt Europas größter Autobauer allerdings mit dem Zulieferer Bosch.
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BMW dagegen sieht den Schulterschluss mit Qualcomm als erfolgversprechendsten Weg. „Wir haben uns fast ein Jahr lang detailliert mit der Sache befasst“, so Martin. „Wir bringen das geistige Eigentum, das Know-how und auch die Erfahrung zusammen.“ Das Vorhaben sei keine klassische Kunden-Lieferanten-Beziehung, sondern eine wirkliche Kooperation.
Intel ist raus, Qualcomm übernimmt
Der gemeinsame Softwarebaukasten gründet auf Technologie, die BMW in den vergangenen Jahrhunderten entwickelt hat. „Das ist die Basis“, sagt Martin. Dazu kommen Anwendungen von Arriver, eines schwedischen Spezialisten für Fahrerassistenzsysteme, den Qualcomm dieses Frühjahr übernommen hat. Halbleiter-Wissen bringt Qualcomm ein, der größte Anbieter von Smartphone-Chips weltweit.
Von San Diego bis Shanghai sind Standorte beider Firmen beteiligt. Mehr als 800 Ingenieure und Softwareentwickler von BMW arbeiten in Teams mit über 400 Spezialisten von Qualcomm zusammen. Beide Seiten äußern sich allerdings nicht dazu, wie zukünftige Umsätze mit der Software aufgeteilt werden sollen. Da Qualcomm den Vertrieb dürfte, dürfte der größere Anteil bei den Amerikanern Einzug halten.
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Die Ehe mit Qualcomm bedeutet für BMW auch die Abkehr von Intel. Beim automatisierten Fahren haben die Bayern in den vergangenen Jahren auf Chips des US-Konzerns und von dessen Tochter Mobileye gesetzt.
2017 hatte BMW mit der Intel-Sparte aus Israel eine Entwicklungskooperation angekündigt. Das gerade runderneuerte Flaggschiff des Konzerns, die 7er-Reihe, wird über Chips von Mobileye und Intel gesteuert. Auch in den nächsten Jahren wird der Dax-Konzern die Bauelemente des einst größten Chipherstellers der Welt noch verwenden.
Doch das Aus für den Konzern aus dem Silicon Valley bei BMW ist nach der Übereinkunft mit Qualcomm besiegelt: In den künftigen Generationen von Elektroautos, BMW spricht von der ‚Neuen Klasse‘, setzt der Konzern von der Mitte des Jahrzehnts an auf Qualcomm – und die gemeinsame Software.
Die werden attraktive Funktionen bieten, energieeffizient und auch von den Stückkosten her sehr sicher sein. „Daher dürfte die Lösung nicht nur für uns interessant werden, sondern auch für andere“, erklärte Martin. Besonders wichtig sei der Stromverbrauch. Es sei den Kunden nicht zu vermitteln, wenn die Systeme für das autonome Fahren eines Tages mehr Energie als der Motor verwenden.
Letztlich wollen die Partner eine Art Blaupause für das automatisierte Fahren anbieten. Dazu erstellen sie auch eine Referenzarchitektur für Sensoren und Rechnerleistung, auf der die Kunden aufbauen können. „Es geht darum, ein hochskalierbares Produkt zu entwickeln“, so Qualcomm-Manager Duggal. Die Amerikaner sind große Stückzahlen aus dem Smartphone-Geschäft gewohnt.
Qualcomm nimmt sich viel Zeit
Wichtig für BMW: Qualcomm hat bereits bewiesen, dass der Konzern bereit ist, neue Geschäfte geduldig aufzubauen. So führt Duggal die Autoparte bereits seit 2011. Bis heute fällt das Geschäft intern kaum ins Gewicht. Im jüngsten, zweiten Quartal des Geschäftsjahres erzielte der Bereich Umsatz von 339 Millionen Dollar. Das sind nur drei Prozent der Konzernerlöse.
Doch die Division entwickelt sich dynamisch. Im Vergleich zum Vorjahr stiegen die Einnahmen um 41 Prozent. Zudem steht voraussichtlich ein weiteres, deutliches Wachstum vor: Eigenen Angaben zufolge hat der Konzern aktuell Bestellungen aus der Autobranche in Höhe von über 16 Milliarden Dollar in den Büchern stehen.
Peter Fintl, Chipexperte der Beratungsgesellschaft Capgemini, lobt das gute Gespür des US-Konzerns für die Befindlichkeiten der Autohersteller: „Es hat den Anschein, als suche Qualcomm einen partnerschaftlichen Zugang zur Autobranche.“
Er is aber auch zu bedenken, dass es völlig offen sei, ob sich die Allianz mit BMW tatsächlich am Markt durchsetzen kann. Denn inzwischen würden viele Firmen derartige Software entwickeln, die Zahl der Kunden sei aber stark begrenzt. Interessante Abnehmer seien vor allem die zehn größten Autohersteller der Welt.
Letztlich würden sich einige wenige dominante Software-Plattformen durchsetzen, glaubt Fintl. Und der Wettbewerb ist intensiv.
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Mathias Pillin, Leiter der Sparte für autonomes Fahren beim weltgrößten Autozulieferer Bosch, sagt: „Am Ende wird es darum gehen, wer die besten Softwarebausteine zu den besten Kosten liefert. Unsere Software läuft jedenfalls auf allen Chips.“
BMW und Qualcomm wollen vorerst bis zur dritten Stufe des automatisierten Fahrens zusammenarbeiten. Bei diesem Level kann sich der Fahrer zurücklehnen und muss nicht mehr selbst steuern, sich aber darauf einstellen, mit einer Vorwarnzeit wieder selbst zu lenken. Es sei aber gut möglich, die Kooperation auf Level 4 auszudehnen, so BMW-Manager Martin.
Dann könnten BMW-Fahrzeuge mit Qualcomm-Chips auf der Autobahn komplett selbstständig fahren.
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Quelle: www.handelsblatt.com