„Reichweitenangst“ – eine noch verhältnismäßig junge Wortkonstruktion aus dem Vokabelheft der Elektromobilität – hat sich natürlich längst ihren Stammplatz im altehrwürdigen Duden gesichert. Die Befürchtung, mit Elektroauto aufgrund begrenzter Reichweite das Fahrtziel nicht oder nur mit langwierigen Ladevorgängen zu erreichen, ist für viele Zeitgenossinnen und -genossen einem immer noch einer der wichtigsten Gründe, um (noch) nicht vom Verbrenner auf einen Stromer umzusteigen. Vor allem, wenn es um die Langstreckentauglichkeit geht. Die hängt neben einem ausreichend großen Akku mit akzeptabler Reichweite, aber vor allem von den Schnelllademöglichkeiten an öffentlichen Ladepunkten ab. Und da gibt es große Unterschiede, sowohl bei den Ladesäulen als auch bei den Fahrzeugen mit 800- oder 400-Volt-Technik.
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Doch zunächst: Wo ist der Unterschied zum Stromtanken an der heimischen Wallbox? Zu Hause wird grundsätzlich mit Wechselstrom geladen. Das sogenannte AC-Laden (Wechselstrom) ist in Europa derzeit mit einer maximalen Leistung von 22 Kilowatt (kW) möglich und gilt als normales oder langsames Laden. Dass die meisten Wallboxen sogar nur 11 kW zur Verfügung stellen, muss keinen ärgern, weil die meisten Fahrzeuge am Markt ohnehin nur das Laden bis zu dieser Marke unterstützen. Bisweilen sind es sogar nur 7,2 kW. reicht für alle aktuellen Elektroautos am Markt eine Nacht für eine Vollladung der Batterie aus.
Sofern es an der Möglichkeit mangelt, eine eigene Wallbox zu installieren, hilft nur die öffentliche AC-Ladesäule mit 22 kW. Ein Ladekabel mit einem Mennekes- oder Typ-2-Stecker verbindet Ladepunkt und Fahrzeug. Da die Ladedauer hier aber eher in Stunden gemessen wird, eignet sich diese Methode kaum für lange Touren.
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Dazu müssen schon die Gleichstrom- oder DC-Schnelllader (DC steht für Direct Current) angesteuert werden, die meistens an oder in der Nähe von Autobahnen zu finden sind. Dort können mit Ladeleistungen von 50 bis 350 kW binnen weniger Minuten Reichweiten von ein-, zweihundert oder noch mehr Kilometern „nachgetankt“ werden.
Oberhalb von 150 kW wird dabei von HPC-Ladern (High Power Charging) gesprochen. Doch da wird es kompliziert. Da das Gleichstromladen von mehreren Faktoren abhängig ist und jeder Autohersteller bei der Abstimmung seine eigene Philosophie anwendet, unterscheiden sich die Ladeleistungen zum Teil recht deutlich.
Hyundai als einziger Massenhersteller bei 800 Volt
Allein schon bei der Hochvolttechnik. Während mit Abstand die meisten Elektroautos auf ein Spannungsniveau von 400 Volt setzen, hat Porsche von Anfang an beim Elektrosportler Taycan und damit auch Audi beim Schwestermodell E-Tron GT die 800-Volt-Technologie eingesetzt. Und betrachteterweise hat sich bisher als einziger mit dem koreanischen Hyundai-Konzern ausgerechnet ein Massenhersteller dieser Technologie angeschlossen. Ioniq 5, Kia EV6 und der ab Juni verfügbare Genesis GV60 stehen allesamt auf der neuen Elektroplattform des Konzerns und nutzen mit der höheren Spannung die Vorteile beim Schnellladen.
Um zu verstehen, warum das so ist, sollte man eine einfache Formel aus dem Physikunterricht hervorkramen: Die elektrische Leistung (Watt) ergibt sich aus dem Produkt von Spannung (Volt) und Stromstärke (Ampere). Um die elektrische Leistung zu erhöhen, muss auch einer der Faktoren erhöht werden. „Während eine höhere Stromstärke negative Einflüsse wie eine höhere Wärmeentwicklung und unerwünschte Ladeverluste mit sich bringen würde, resultieren aus einer hohen Spannung Nachteile“, erklärt Thilo Klemm von Hyundai Deutschland. Eine Verdopplung der Voltzahl beschert also auch eine doppelte Ladeleistung, ohne dass dickere und schwerere Kabel eingebaut werden müssten.
Was das bedeutet, rechnet Christian Hartmann, Technologiesprecher von Audi, vor: „Die Zellen der 93 kWh großen Hochvoltbatterie eines E-Tron GT füllen sich unter Idealbedingungen einem mit Spitzenwert bis zu 270 kW Ladeleistung in nur 22,5 Minuten von 5 auf 80 Prozent .“ Die durchschnittliche Ladeleistung von 186 kW, die natürlich auch für den Taycan gilt, ist tatsächlich ein erstklassiger Wert, auch wenn er deutlich unter dem Lademaximum von 270 kW liegt. Das lässt aber bereits vermuten, dass der Ladevorgang keinen linearen Verlauf nimmt, sondern noch andere Einflüsse eine Rolle spielen.
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Schneller laden oder weiter fahren ist die Frage
Das beginnt schon beim Entwicklungsprozess, denn bei gleicher Batteriegröße muss über eine höhere Kapazität für mehr Reichweite oder eine höhere Ladeleistung für schnelleres Laden entschieden werden. „Für eine bessere Ladeleistung wird die hohe Batteriespannung von schnellen 800 Volt über eine Reihenschaltung der Batteriezellen erreicht“, erklärt Thilo Klemm. „Die gleiche Anzahl der Batteriezellen ließe sich aber auch zum Teil parallel schalten, was eine Vergrößerung der Kapazität – jedoch bei geringerer Spannung – zur Folge hätte.“
„Der Ladevorgang ist aber auch abhängig vom Ladezustand und wird von der Batterietemperatur beeinflusst“, Christoph Starzynski, der Leiter für die Entwicklung der Elektroantriebe bei Mercedes-Benz. „Eine volle Batterie kann nicht so schnell geladen werden wie eine leere. Und eine kalte Batterie kann ebenfalls nicht den vollen Ladestrom aufnehmen.“
Die Schwaben sind deshalb besonders stolz auf ihr Lademanagement „Electric Intelligence“ im Navigationssystem des EQS. Starzynski: „Erstens wird dort die optimale Fahrroute mit entsprechendem Ladestopps so berechnet, dass der Kunde sich nicht selbst um die Einplanung geeigneter Ladepunkte auf der Strecke kümmern muss. Zweites stellt das System sicher, dass das Fahrzeug mit einer optimal vorkonditionierten Batterie am Ladepunkt ankommt, um die höchstmögliche Ladeleistung abrufen zu können.“
Reichweitenkönig EQS
Immerhin beweist Mercedes, dass auch mit 400-Volt-Technik hervorragende Ladeergebnisse zu erzielen sind. Die Stuttgarter haben selbst bei ihrem E-Flaggschiff EQS auf eine höhere Spannung verzichtet. Die elektrische S-Klasse, mit Aktionsradius bis zu 784 Kilometern einer der Reichweitenkönige, holt allerdings auch das Maximum an Ladeleistung heraus, und das sind bei einem 400 Volt und 500 Ampere Stromstärke genau 200 kW.
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Langfristig dürfte sich die 800-Volt-Technik zumindest in den höheren Wagenklassen mit großen Batterien durchsetzen. Die Vorteile in den Bereichen Ladeleistung, Verpackung und Gewicht überwiegen für Kevin Giek, Baureihenleiter des Porsche Taycan, die Nachteile bei Weitem, zumal sich auch der Faktor Kosten relativiert. Giek: „Die Komponenten der 800-Volt-Technik waren zu Beginn teurer als 400-Volt-Komponenten. Da aber jetzt immer mehr Hersteller auch auf 800 Volt setzen, relativiert sich der Aufpreis wieder. Die 800 Volt-Technologie ist auch nicht per se teurer.“
Zwar bestätigen alle Hersteller, dass extra hohe Ladeleistungen die Batterie stressen können, und gewiss geben auch alle ihren Kundinnen und Kunden Tipps für batterieschonendes Verhalten an der Hand, doch weder bei Porsche, Audi, Hyundai noch bei Mercedes gibt es Verbote oder Auflagen für die Anzahl der Schnellladevorgänge. Noch einmal Giek: „Die Batteriesteuerung sorgt dafür, dass die Batterie beim Schnellladen keiner erhöhten Beanspruchung unterliegt und lässt abhängig vom Ladezustand und Batterietemperatur den optimalen Ladestrom zu.“
Batteriegarantie auf mindestens 160.000 Kilometer
Üblich sind deshalb eine Garantie auf die Batterie für acht Jahre oder 160.000 Kilometer. Sollte das Akkupack dann weniger als 70 Prozent der Kapazität des Neufahrzeugs haben, WIRD SIE kostenlos ersetzt. Das gilt für die meisten Elektroautos vom Taycan über den Volvo XC 40 bis zum Opel Corsa-E, der zwar nur bis 100 kW am Schnelllader aufnehmen kann, aber aufgrund kleinerer Batterie dennoch in 30 Minuten 80 Prozent der Kapazität wiedererlangt. Nur Mercedes hat für seine Modelle EQS und EQE die Gewährleistung sogar auf 250.000 Kilometer oder zehn Jahre hinaufgesetzt.
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Das schafft schon ein gewisses Vertrauen in die Langlebigkeit der Batterien, lässt auf immer längere Ladestopps hoffen und macht – den Ausbau der Schnelllade-Infrastruktur vorausgesetzt – das E-Auto zusehends langstreckentauglich. Und von Reichweitenangst redet dann bald niemand mehr.
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Quelle: www.rnd.de