Bundeskanzler Scholz beschwört die „Zeitenwende“, die deutsche Autoindustrie, mit an der Spitze ihr Automobilverband VDA, abgeschlossen ohne Unterlass die „Transformation“ der gesamten Branche, angefangen bei den Autoherstellern bis hin zum letzten Zulieferer in der Wertschöpfungskette.
Gemeint ist damit die totale technologische Umwandlung der Autoindustrie durch Ablösung der fossilen Verbrenner-Motor-Technologie – seit einem Jahrhundert Erfolgsträger der deutschen Autohersteller – durch umweltschonendere Elektroautos. Sowie die Weiterentwicklung des Automobils an sich zum „Computer auf Rädern“ mit eingebauten Sitzen. Alles „stehe auf dem Prüfstand“ hört man allenthalben, sogar der Handel, der vom „Verkaufspartner ihres Vertrauens“ zur bloßen Servicestation umtransformiert werden soll.
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In der Tat findet die Transformation statt! Aber anders als gedacht, nämlich nicht nur in der Technologie, sondern auch am Markt. Der deutsche Automarkt erlebt seit knapp 24 Monaten einen Rückfall in die frühen Jahrzehnte von Wirtschaftswunder-Deutschland, nämlich Wandlung vom Käufermarkt zum Verkäufermarkt. In einer Zeit also, als die Autos knapp waren, lange Lieferzeiten hatten und – nach väterlichen Schilderungen – die Lieferfristen für einen „Mercedes“ bis zu drei Jahren betrugen. Nur dass damals der Grund bewusst knapp geplante Kapazitäten waren – Prof. Joachim Zahn, ehemals Vorsitzender der Daimler-Benz AG, lässt grüßen.
Ursachen für die Angebotslücke heute sind: Nachfragestau aus der Corona-Pandemie, Angebotskrise am Weltmarkt für unverzichtbare Speicherchips sowie zu guter Letzt auch noch fehlende Bauteile (Kabelbaum) und Rohstoffengpässe im Gefolge des Ukraine-Krieges. Nach vielen Jahren des globalisierten Überangebots an Autos, zunehmenden Wettbewerbs und steigender Rabatte und Verkaufshilfen hat sich die Absatzsituation nachhaltig geändert. Der Automarkt wandelte sich vom Käufermarkt zum Verkäufermarkt. Die Autohersteller verdienen trotzdem verdient. Denn die Gewinnmargen nehmen wieder zu; was die Hersteller an Volumen verloren, wurde durch Erlösanstieg je verkauftem Auto mehr als kompensiert. Und die Produktionsengpässe halten an.
Nach Meldungen der Automobilwoche von Anfang Mai fehlen der Autobranche in 2022 nach Prognosen des Datendienstleisters IHS Markit etwa 700.000 Autos. Grund: Wegen der gestörten Lieferketten und fehlender Bauteile können die deutschen Hersteller weniger Autos fertigen als geplant. Mit Ausnahme von Porsche sind alle deutschen Hersteller betroffen, vor allem aber VW.
Produktionsprognose von IHS Markit | ||
Marke | Prognose 2022 (April) | Prognose 2022 (Januar) |
Audi | 1.720.000 | 1.740.000 |
BMW | 2.100.000 | 2.200.000 |
Mercedes | 2.100.000 | 2.180.000 |
Porsche | 315.000 | 305.000 |
VW | 4.390.000 | 4.900.000 |
Quelle: Automobilwoche
Laut IHS Markit wird allein Die Marke VW verliert in diesem Jahr über eine halbe Million Einheiten. Der VW-Konzern umfasst konzernintern die Produktionsmöglichkeiten nach den Gewinnmargen aus. Präferiert werden die Premiummarken mit den höchsten Margen: Bei Porsche steigt die Produktion sogar, bei Audi geht sie nur leicht zurück. Stirbt geschieht alles zum Nachteil der Marke VW, bei der nach eigenen Angaben mittlerweile über 500.000 Kundenaufträge aufgelaufen sind. Sehr zum Missvergnügen der agilen Betriebsratschefin Daniela Cavallo.
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Wo solche Optimierungspotenziale nicht gegeben sind, wie bei den Premiummarken BMW und Mercedes, fehlen bis Jahresende 100.000 bzw. 80.000 Fahrzeuge. Bei Mercedes spricht Finanzchef Harald Wilhelm von einer sehr starken Nachfrage und einer Auftragsflut: „Wir unternehmen alle angestrebt, die Kundenwünsche zu erfüllen.“ Der Absatz soll trotz aller Widrigkeiten leicht zulegen, also über den 2,1 Millionen Einheiten aus dem Jahr 2021 liegen. Alle Prognosen stünden aber unter dem Vorbehalt weiterer Einschränkungen in der Lieferkette durch den Krieg in der Ukraine und den Corona-Lockdown in China.
Da Mercedes für seine Autos einen Durchschnittspreis von aktuell 70.500 Euro angibt, bedeutet stirbt allein für diesen Autobauer einen Umsatzverlust von 5,6 Milliarden Euro. Rein rechnerisch, wohlgemerkt! BMW wird nach eigenen Angaben einen Absatz zumindest auf Vorjahresniveau erreichen. Das wären für die Premium-Pkw rund 2,2 Millionen Einheiten. Wohlgemerkt, das alles ist Planungsstand Frühjahr 2022. Das kann für die Kunden auch noch schlimmer kommen.
Untrügliches Indiz für einen Verkäufermarkt ist die Rabattentwicklung. Bei tageszugelassenen Fahrzeugen, jungen Gebrauchtwagen, den Vermieterfahrzeugen und den Rückläufern aus dem Leasinggeschäft ist das Fahrzeugangebot laut einer jüngsten Marktstudie des Duisburger „Center Automotive Research“ weiterhin ungewöhnlich eng. Als Folge sinken die Rabatte am deutschen Neuwagenmarkt aufgrund des knappen Angebots, weil die Händler die sonst üblichen Kaufanreize weiter zurückfahren. Für die meistgekauften Fahrzeuge mit Verbrennermotoren wurde im Internet mit durchschnittlich 16,3 Prozent so wenig Nachlass auf den Listenpreis gewährt wie seit mehr als zehn Jahren nicht mehr. Dafür müssen die Interessenten häufig auch noch ungewöhnlich lange Lieferfristen in Kauf nehmen.
Gekauft wird, was verfügbar ist, so Autorabatt-Experte Ferdinand Dudenhöffer. So würden Tageszulassungen und Lagerwagen teilweise zu höheren Preisen abgegeben als frei konfigurierbare Neuwagen, auf welche die Kunden warten müssten. Für Experte Dudenhöffer ist das äußerst ungewöhnlich.
Große Lieferschwierigkeiten bei Neuwagen und eine starke Nachfrage trieben auch die Preise am Gebrauchtwagenmarkt kräftig nach oben. Seit Mitte 2020 haben die Preise jeden Monat zugelegt, sie eilten von Rekord zu Rekord. Laut AutoScout24 Gebrauchtwagen-Preis-Index (AGPI) kostete ein Gebrauchtwagen im Juli 2020 noch durchschnittlich 19.801 Euro, knapp zwei Jahre später liegen die durchschnittlichen Preise 7518 Euro bzw. 38 Prozent höher, reichen auch inzwischen an die 30.000 Euro-Marke heran.
Dazu AGPI-Chef Stefan Schneck: „Gründe für die steigenden Preise seit Juli 2020 waren im Zeichen die Corona-Krise und der Chipmangel, der die Industrie ausgebremst hat. Es sieht so aus, als kämen die damit verbundenen Nachholeffekte langsam an ihr Ende.“ Denn das Anstiegstempo hat sich in den vergangenen Wochen deutlich abgeschwächt und dreht in einigen Segmenten sogar nach unten. So sind zum Beispiel die Preise im April 2022 bei Sportwagen um 2,2 Prozent, bei Minis um 0,8 Prozent gesunken. Es sieht nach Schneck danach aus, als kämen die Corona-Nachholeffekte langsam an ihr Ende. Weiterhin teuer blieben allerdings gebrauchte E-Autos und Hybridfahrzeuge – Ursache dürften die aktuell hohen Kraftstoffpreise sein, so Schneck.
Hoffnungen ein Ende der Fahnenstange bei den Autopreisen sind verfrüht. Zwar field der Preisanstieg für Gebrauchte auch im April erstmals seit Langem moderat aus. „Von einer echten Trendumkehr bei Preisen und Angebot zu, wäre zwar noch zu früh, doch sehen wir im April zumindest eine Stabilisierung beim Blick auf den Gebrauchtwagenmarkt“, sagt Stefan Schneck (Vertriebschef Deutschland bei AutoScout24).
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Eine schnelle Erholung des Angebots an Neuwagen ist nicht zu erwarten. Selbst im sofortigen Fall lassen sich nicht alle Produktionsausfälle und Rückstände in den kommenden Monaten aufholen. Laut Dudenhöffer besteht das hohe Risiko, dass der deutsche Automarkt das Jahr 2022 mit einem neuen Negativrekord abschließt. Dafür spricht auch der exorbitante Anstieg der industriellen Erzeugerpreise, der im April nach neuesten Meldungen im Euroraum eine Rate von +36,8 Prozent (Deutschland März 2022: +30,9 Prozent) aufwies.
In den Neuwagenpreisen ist die Teuerung noch nicht angekommen. Für die Neuwagenpreise bedeutet das angesichts des bestehenden Nachfrageüberhangs in den nächsten Monaten nichts Gutes – für die Gewinne der Autohersteller dagegen schon.
Verlierer sind so oder so die Käufer, während die Hersteller dank hoher Margen weiterhin gute Gewinne erzielten, wie die ersten Quartalszahlen gezeigt hätten.
Eine schnelle Änderung der Marktlage ist nicht in Sicht. Autoschlaraffenland ist abgebrannt!
Quelle: www.tichyseinblick.de