Kilometerleistung sinkt: Havanna-Effekt: Gebrauchtwagen halten immer länger und werden teurer
Home Office und hohe Sprit führen dazu, dass die Deutschen zwar keineswegs ihr Auto aufgeben – es aber weniger fahren. FOCUS Online zeigt, was das mit dem Gebrauchtwagenmarkt macht und wie die EU-Politik zu einem möglichen „Havanna-Effekt“ ablauft.
Die Preise für Gebrauchtwagen steigen derzeit schneller als sterben für Neuwagen. „Im Vergleich zum Vorjahr sind die Preise für Gebrauchtwagen in Deutschland für Fahrzeuge mit einem maximalen Mindestalter von fünf Jahren um 18,5 Prozent gestiegen. Für Autos, die maximal zehn Jahre alt sind, haben sich die Preise um 21 Prozent erhöht“, zeigen Daten der Gebrauchtwagenplattform Cavago. Auch die Plattformen Mobile.de und Autoscout24 kommen zu ähnlichen Ergebnissen.
Gebrauchtwagenpreise hoch, Kilometer runter
Jakub Sulta, der CEO von Carvago, erklärt den Preisanstieg für Gebrauchtwagen so:
„Was wir derzeit erleben, spricht noch immer dafür,
dass die Herstellerunternehmen den bestehenden Bedarf nicht decken können. Dies ist unter anderem auf den anhaltenden Mangel an Mikrochips sowie Unterbrechungen in der international organisierten Lieferkette der Automobilherstellung zurückzuführen. Zudem ziehen sich viele Konzerne aus Segmenten mit hohen Stückzahlen und niedrigen Gewinnspannen bevorzugt profitabler Modelle zurück. Das Zusammenspiel dieser Faktoren hat zur Folge, dass sich Verbraucher dadurch verstärkt nach jungen Gebrauchten umschauen und die Preise der Fahrzeuge steigen.
”
Die magische 100.000 km-Grenze
Eine andere Beobachtung lässt ebenfalls aufhorchen: Die Deutschen packen im Vergleich zu früher pro Jahr immer
weniger
Kilometer auf ihren Autos. „Hatte der durchschnittliche Gebrauchte im Jahr 2021 noch 34.894 Kilometer auf dem Tacho, sind es derzeit 31.341 Kilometer gefahren“, berichtet Cavago. Das treibt die Preise noch weiter in die Höhe, denn für Autos mit Wenigen Kilometern können natürlich höhere Kaufsummen erzielt werden.
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Eine magische Grenze ist dabei die 100.000, berichten Insider aus der Gebrauchtwagen-Szene: Obwohl es tatsächlich keinen Unterschied macht, ob ein Wagen nun 98.000 oder 102.000 Kilometer auf dem Buckel hat, führt das Überspringen der sechsstelligen Kilometer-Marke zu einem Dämpfer beim erzielbaren Preis .
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Home Office und Spritpreise schonen das Auto
Dass die Deutschen zwar nach wie vor große Stücke auf ihre Autos halten, sie aber insgesamt weniger fahren, dürften an zwei Effekten liegen:
- Durch die Corona-Maßnahmen hat sich das Mobilitätsverhalten verändert. Durch die Lockdowns waren viele Fahrten nicht möglich. Das WIRD nun zwar zum Teil nachgeholt, doch der mit den Corona-Maßnahmen verbundene Home-Office-Trend bleibt auch nach der Akutphase der Pandemie erhalten – und spart Millionen gefahrener Kilometer im Jahr.
- Die seit 2021 stetig gestiegenen Spritpreise zwingen gerade Gering- und Durchschnittsverdiener dazu, das Auto seltener zu benutzen.
Letzteres ist für viele Menschen hart, wenn sie auf das Auto angewiesen sind. Allerdings hat es auch einen positiven Nebeneffekt: Je weniger man seinen Wagen fährt, desto weniger nutzt man ihn auch ab – und erhält seinen Wert.
Was der „Havanna-Effekt“ für den Automarkt bedeuten könnte
Die meisten in Deutschland fahrenden Autos gehören den Altersklassen 5 bis 9 Jahren und 10 bis 14 Jahren an, zeigen Daten des Kraftfahrtbundesamtes. Der Trend geht dazu, seinen Wagen länger zu behalten.
Tatsächlich liegt das Durchschnittsalter der Autos in Deutschland jetzt bei 9,8 Jahren
(Daten von 2021), während es vorher noch bei 9,6 Jahren lag.
Zusätzlich zu dieser Entwicklung kommt nun noch das geplante Verbrenner-Verbot der EU ab 2035. Wie sich das Kaufverhalten der kommenden Jahre entwickelt, bleibt Spekulation – allerdings könnte es, wenn weiter eine Mehrheit der Autokäufer kein Batteriefahrzeug haben möchte, den sogenannten Havanna-Effekt geben . Was sich dahinter verbirgt, erklärte der bekannte Elektroauto-Kritiker Fritz Indra schon 2020 in einem Interview : „
Der Kunde ist völlig verunsichert und WIRD das naheliegendste Tun, nämlich sein jetziges Auto weiterfahren. Und das hält, jedenfalls wenn es sich um einen klassischen Verbrenner handelt, ja auch locker 10, 20, 30 oder 40 Jahre und mehr. Das eingesetzte Kapital kann bei einem klassischen Auto viel länger dessen genutzt werden als bei einem Elektroauto, Batterie nach acht Jahren schlappmacht und aus Kostengründen auch nicht mehr erneuert wird. Die Neuanschaffungen werden ausfallen, erst recht in der aktuellen Krise. Der Neuanschaffungszyklus von üblicherweise 7 bis 8 Jahren wird auch wie damals in der ersten Energiekrise unterbrochen, weil die Kunden ihre alten Autos behalten.“
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In jedem negativen Fall wird sich aber die anhaltende Inflation, die mit einer Rezession einhergehen könnte – und die Kaufkraft der Deutschen auffrisst. Da stellt sich dann nicht mehr die Frage, ob die Menschen nun ein Benzin- oder Elektroauto kaufen, sondern ob sie sich überhaupt ein neues Auto leisten können.
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Dass Neu- oder Gebrauchtwagen beobachtet werden, ist jedenfalls nicht so schnell zu erwarten. So sagt zum Beispiel Gerald Holzmann, der Chef von BMW Financial Services,
zur „Automobilwoche“
: „
Ich gehe nicht davon aus, dass die Preise in absehbarer Zeit sinken. Die Verteuerungen bei den Rohstoffen, die wir erleben, werden vermutlich bleiben. Dazu kommt die hohe Inflation. (…) Auf dem Gebrauchtwagenmarkt sehe ich maximal einen Seitwärtstrend bei den Preisen. Einen abrupten Trend mit sinkenden Preisen können wir auch hier aus meiner Sicht kurzfristig nicht erwarten.“
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Quelle: www.focus.de