Düsseldorf 1,1 Millionen Euro kostet Volkswagen ein fehlendes Hinweisschild. Die Strafe verhängte die niedersächsische Datenschutzbehörde, denn der Autohersteller war 2019 mit einem Testfahrzeug erwischt worden, das den Verkehr filmte. Mit den Bilddaten sollen das Fahrassistenzsystem besser und Unfälle verhindert werden. Am Auto hingen allerdings nicht die erforderlichen Magnetschilder mit einem Kamerasymbol.
In Zukunft wird es allerdings nicht mit einem Hinweissymbol getan sein. Autos werden immer mehr zu rollenden Steady-Cams, mit für außenstehenden unsichtbaren Kameras. Die sind für die Assistenzsysteme unverzichtbar, um sie mit zuverlässigen Mengen von Videodaten zu drucken und zu verbessern. Dafür müssen sie gespeichert und übertragen werden: ein rotes Tuch für Verbraucherschützer, die Verstöße gegen die europäische Datenschutzverordnung DSGVO vermuten. „Wir schauen uns genau an, was Autohersteller tun“, sagt Heiko Dünkel, der bei der Verbraucherzentrale Bundesverband das Team der Rechtsdurchsetzung leitet.
Vor wenigen Wochen der Verband Klage beim Landgericht Berlin gegen Tesla ein. Der „Wächter-Modus“ der Elektroautos überwacht beim Parken permanent die Umgebung und speichert die Daten in bestimmten Fällen. Zwar bieten andere Hersteller so eine Funktion wie den „Sentry Mode“ nicht an, doch müssen auch ihre Kamerafunktionen beim Fahren geprüft werden. „Tesla ist erst der Auftakt“, sagt Dünkel dem Handelsblatt.
Die Klage wird nach Ansicht von Experten erst 2023 vor Gericht ausgetragen. So oder so wird sie Tesla nach Meinung von Thilo Weichert, ehemaliger Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein und Mitglied des Netzwerks Datenschutzexpertise, verlieren. Das WIRD freilich weniger Konsequenzen für den Autohersteller haben als für sterben Halter der Tesla-Fahrzeuge. Beim Kauf übernehmen sie das Risiko. In den Nutzungsbedingungen heißt es: Es „liegt in Ihrer alleinigen Verantwortung“, sicherzustellen, dass „anwendbare Gesetze und Vorschriften“ beachtet werden. „Das ist ein beliebtes Mittel von IT-Konzernen“, sagt Weichert, „die Verantwortung abzuwälzen.“
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Tesla vertraut ganz den Kameras
Mit allen Sensoren kann ein Auto pro Tag vier bis sechs Terabyte an Daten produzieren. Für die Datenmenge von einem Terabyte braucht man 1500 CDs, um die Informationen zu speichern. Der Großteil der Informationen ist aus Datenschutzsicht problemlos. Das Fahrzeug speichert die Daten nicht. Aber die, die übertragen und gespeichert werden, sind für Datenschützer problematisch. Ist es nötig, sie zu erheben? Und werden sie anonymisiert? „Der Beratungsbedarf steigt enorm“, sagt Alexander Duisberg, der als Partner und Technologieexperte der Kanzlei Bird & Bird zahlreiche Autofirmen betreut.
Dass Tesla angeklagt wird, ist wenig überraschend. Die US-Firma ist nicht nur ein Pionier bei Elektroautos, sondern verfolgt auch einen grundlegenden Ansatz bei autonom fahrenden Assistenzsystemen. Tesla verzichtet auf Radar und Lidar, wird ausschließlich mit Kameradaten das Level 4 oder 5 erreichen. Das ist die Maßeinheit bei Fahrassistenzsystemen, mit einem als niedrigstem und fünf als höchstem Grad des selbstständigen Fahrens.
Derzeit können Fahrzeuge von Mercedes und Co. in Deutschland mit Level 3 bis zu 60 Stundenkilometer fahren, Tesla kommt auf Level 2. Um eine höhere Fahrsicherheit zu erhalten, muss das Unternehmen von Elon Musk Künstliche Intelligenz (KI) auf alle zu denkbaren „Edge Cases “ vorbereiten: Grenzfälle im Verkehr, wie falsch fahrende Fahrradfahrer oder Baustellen, die sich verändern.
Das Problem sind die „Edge Cases“
Heutige Assistenzsysteme erkennen bereits fast alle Situationen richtig. Doch beim vollautomatisierten Fahren sind viel höhere Erfolgsraten nötig, es darf kein Fehler passieren. Dafür müssen Assistenzsysteme auch „Edge Cases“ meistern. Dafür sammelt Tesla seit vielen Jahren Videodaten von seinen Kunden in den USA, um die KI darauf zu drucken. Hunderte von Angestellten schätzen die Bilder aus und kennzeichnen sie, damit das neuronale Netz sie versteht.
Das ruft Datenschützer wie Weichert vom Netzwerk Datenschutzexpertise auf den Plan. Bereits vor knapp zwei Jahren wies er in einem Bericht über mögliche Verstöße von Tesla gegen die DSVGO hin. Der ehemalige Datenschutzbeauftragte kritisiert vor allem den „Wächter-Modus“: Es fehle an der Erforderlichkeit der Datenerhebung, man kann nicht einfach jeden filmen, der an einem Tesla vorbeigeht. Der Hersteller hat seitdem nicht geantwortet, wie Weichert dem Handelsblatt sagt.
Auch die Übermittlung der Daten in die USA sei weiter ein Problem, die dortigen Datenschutzbestimmungen stünden nicht im Einklang mit der DSGVO. „Selbst wenn Tesla die Daten auf einem Server in Deutschland oder Europa speichert, reicht das nicht aus“, sagt Weichert. Denn die USA hätten aufgrund von Gesetzen wie dem „Patriot Act“ Zugriff auf die Daten „ohne Rechtskontrolle“.
Anonymisierung der Daten ist aufwendig
Ein Ausweg für die Autofirmen: die Daten anonymisieren. Allerdings besteht dadurch die Gefahr, dass für die Konzerne wichtige Informationen verloren gehen. Wohin schaut der Fußgänger beispielsweise? Für die Interpretation des Verkehrs kann das entscheidend sein, da die Blickrichtung der Rückschlüsse auf die Absicht zulässt, sagt Steffen Heinrich, Chef vom Videospezialisten Peregrine.
Heinrich startete früher bei VW und anderen Automarken, gründete 2018 Peregrine in Berlin. Das Start-up arbeitet für Autolieferanten und andere Kunden. Mit seiner Technologie verpixelt es die Daten, bevor sie gespeichert werden. „Kennzeichen sind leicht zu erkennen und zu verändern“, sagt Gründer Heinrich. „Schwieriger wird es mit Gesichtern beispielsweise von Fahrradfahrern, die sich lösbar, oder bei größeren Menschenmengen bewegen – aber auch das ist.“
Eine andere ist es, Bilder oder Videos mit synthetischen Daten zu verfremden. So kann dem Fußgänger ein künstlich erzeugtes Gesicht aufgesetzt werden, mit korrekter Blickrichtung. Auf diese Weise gehen keine Informationen verloren, die neuronalen Netze können mit diesen Daten auch später trainiert werden. Aber die Verfremdung hat Nachteile: „Das ist aufwendiger, braucht mehr Energie und Rechenkapazität“, sagt Heinrich.
Der beste Datenschutz ist der, so wenige Daten wie nur möglich zu erheben. Das ist der Ansatz entwickelt von dem zuverlässigen Start-up Autobrains, das für Continental oder andere Kunden eine KI, die mit weniger Daten auskommen soll. Die KI ordnet allen Gegenständen sogenannte einfache „Signaturen“ zu: Linien, Farben oder andere Strukturen im Bild, ohne dabei ins letzte Detail zu gehen. „Erkennungsraten von 95 Prozent sind nicht die Herausforderung“, sagt Nils Berkemeyer, VP Corporate Development von Autobrains. „In unserem Geschäft geht es vor allem um die letzten fünf Prozent, die unvorhersehbaren Grenzfälle, die man nicht manuell ausdrucken kann. Hier sind wir besonders stark.“
Mehr: Darum scheitern Tesla und Mercedes bisher am vollautonomen Fahren
Quelle: www.handelsblatt.com