Elektroautos von Start-ups sind nichts Ungewöhnliches mehr, der Ansatz der niederländischen Marke Lightyear dagegen schon. „Lightyears langfristiges Ziel ist es, solare Elektroautos für den Massenmarkt zu entwickeln und damit eine nachhaltige Lösung für die weltweit wachsenden Mobilitätsbedürfnisse anzubieten“, erklärt Lex Hoefsloot, CEO und Mitgründer von Lightyear. Der Start sollte in der ersten Jahreshälfte 2022 mit dem Erstlingswerk gelingen, das damals noch den Namen One trug.
heißt es, dass die Produktion im Herbst inzwischen gestartet ist und die ersten Exemplare im November an die Kundinnen und Kunden ausgeliefert werden. Die Fertigung übernimmt Valmet Automotive; in seinem Werk in der finnischen Stadt Uusikaupunki angepasst das Unternehmen eine eigene Produktionslinie für den Lightyear ein. Zudem trägt das Auto inzwischen einen Namen: Der Lightyear One heißt jetzt Lightyear 0. Das soll natürlich den lokal emissionsfreien Charakter des Elektroautos symbolisieren. Aber auch noch andere Aspekte wie die Tasache, dass die Niederländer vor etwa sechs Jahren bei Null mit diesem Projekt begonnen haben. Auch das Firmenlogo hat sich inzwischen geändert: Seine drei Elemente sollen das Fließende darstellen.
70 Kilometer am Tag nur mit Sonnenenergie
Lightyear hat den One aka 0 als Solar-Elektroauto konzipiert. Damit will der Hersteller die Schwierigkeit umgehen, eine Ladeinfrastruktur entwickeln zu müssen, damit seine Fahrzeuge nur die Sonne und gewöhnliche Steckdosen als Energiequelle nutzen. Je nach Standort soll der Lightyear One so wochen- oder gar monatelang ohne Aufladung fahren können. Die reine Batteriereichweite beträgt dem Hersteller zufolge bis zu 625 km im WLTP-Zyklus. Pro Tag sollen sich maximal 70 Kilometer Reichweite pro Sonne nachladen lassen. Den Energieverbrauch gibt Lightyear mit 10,5 Kilowattstunden pro 100 Kilometer an – ein starker Wert, sollte er der Realität entsprechen.
Dass der erste Lightyear grundsätzlich ein genügsames Geselle sein kann, hat einen Prototyp bereits im Sommer 2021 angedeutet. Bei Performance-Test auf einer Ovalstrecke des Aldenhoven Testing Centers in Nordrhein-Westfalen schaffte das noch getarnte Solar-Elektroauto 710 Kilometer mit einer Batterieladung. Bei einer konstanten Geschwindigkeit von 85 km/h Verbrauche das damals noch Lightyear genannte Auto dem Hersteller angegeben 137 Wattstunden pro Meile, was umgerechnet etwa 8,5 Kilowattstunden auf 100 Kilometer entspricht. Zum Vergleich: Im auto motor und sport-Test verbrauchte das Tesla Model 3 in seiner Performance-Version im Schnitt 23,5 kWh/100 km. Der Polestar 2 kam sogar auf 28,4 kWh/100 km.
Möglich WIRD das durch die vielen Solarmodule, sterben die Entwickler auf der Haube, dem Dach und dem Kofferraum des Autos verteilt Haben. Sie laden den Akku ständig nach, auch unterwegs. Insgesamt passen etwa fünf Quadratmeter Solarzellen auf’s Auto, die dicht gepackt nebeneinander platziert werden und eine Spitzenleistung von 1.250 Watt liefern sollen. „Dank dieser Leistungsfähigkeit und der Tatsache, dass wir das Auto an allen Ecken und Enden auf Effizienz getrimmt haben, genügt uns ein Akku, der nur 2/3 der Größe eines Jaguar iPace oder Tesla hat“, meint Lex Hoefsloot. Lightyear nennt für die Batterie eine Kapazität von 60 Kilowattstunden und ein Gewicht von nur 350 Kilogramm.
Vier Radnabenmotoren
Da sich Hoefsloot und sein Team bewusst sind, dass die Sonne nicht immer scheint, kann der Lightyear 0 auch an der Steckdose laden, und zwar 32 Kilometer pro Stunde. Wer demnach zwölf Stunden an der Schuko-Dose lädt, verschafft sich so 384 Extra-Kilometer. Per Schnelllader lässt sich mit bis zu 50 kW Strom nachtanken. Dafür ist hinten rechts am Auto eine CCS-Buchse untergebracht, über die auch mit einem Typ-2-Stecker mit 22 kW geladen werden kann. Der Energiespeicher soll in Zukunft aber auch als Stromquelle für externe Verbraucher oder gar das eigene Haus dienen.
Lightyear setzt auch auf eine andere Motorisierung als die Konkurrenz. Der Allradantrieb besteht aus vier einzeln angesteuerten Radnabenmotoren, die Lightyear zusammen mit dem slowenischen Spezialisten Elaphe entwickelt hat. Sie sollen den Lightyear 0 in weniger als zehn Sekunden auf 100 km/h bringen. Mit Teslas Superbeschleunigungen von unter drei Sekunden hat das nur wenig gemein, aber darum geht es den Verantwortlichen bei Lightyear auch nicht. Die Höchstgeschwindigkeit liegt bei 160 km/h.
Das Leergewicht der Serienversion liegt bei 1.575 Kilogramm. Eigentlich hat Lightyear in der Entwicklungsphase ein Zielgewicht von rund 1.300 Kilogramm angestrebt. Damals begann Lightyear mit dem Dienstleister EDAG zusammen. Mit den schwedischen Sportwagen-Spezialisten von Koenigsegg besteht inzwischen eine Technologie-Partnerschaft. Das Design erarbeitete Gran-Studio aus Turin. „Für uns Designer war das nicht immer leicht“, erklärt Lowie Vermeersch, CEO von Gran-Studio. „Denn aerodynamische Formen sind nicht von Haus aus die schönsten. Aber die Windschlüpfigkeit ist bei diesem Projekt entscheidend. Außerdem mussten wir viel Fläche für die Solarzellen schaffen. Für Sicken und Kanten war da kein Platz, denn sie sorgen für Verwirbelungen, die wir unbedingt vermeiden wollten.“
Der cW-Wert liegt bei 0,175
Herausgekommen ist dabei eine 5,08 Meter lange, 1,97 Meter breite und 1,45 Meter hohe Coupé-Linie, die Lightyear selbst als Hatchback bezeichnet. Die Bodenfreiheit beträgt üppige 18,3 Zentimeter. Der Vorderwagen mit seinen aktiven Lufteinlässen erinnert in der Seitenansicht an einen Porsche 911. Der Rest an eine Kreuzung aus Audi A7 Sportback und Honda Insight der ersten Generation, der damals ebenfalls für eine bessere Aerodynamik abgedeckte Radkästen an der Hinterachse hatte. Beim Lightyear 0 gibt es dieses Feature optional ohne Aufpreis. Nachhaltigkeit ist auch bei den Materialien Trumpf: Bei der Karosserie werden Reste von Carbon-Fasern wiederverwendet, die sonst im Müll gelandet wären.
Die Niederländer behaupten, mit dem Lightyear 0 das windschlüpfigste Serienfahrzeug der Welt geschaffen zu haben. Das könnte stimmen: Ein Test in einem Stuttgarter Windkanal ergab einen Luftwiderstandsbeiwert von cW=0,175. Damit ist das Solarauto noch besser als angestrebt (das Ziel war ein cW-Wert von 0,19). Zum Vergleich: Bisher ist der Mercedes EQS mit seinem cW-Wert von 0,20 der Rekordhalter in dieser Kategorie. Aus aerodynamischen Gründen gibt es statt klassischen Rückspiegels nach hinten gerichtete Kameras, die ihr Bild auf innen an den A-Säulen angebrachte Monitore senden und so über das informieren, was hinter dem Lightyear 0 los ist. Weil aufgrund der Solar-Panels keine Heckscheibe existiert, gibt es kein Innenspiel. Auch an dessen Position sitzt ein Bildschirm, der ein Kamerabild darstellt.
Infotainment-System mit Android Automotive
Im veganen Interieur verwendet Lightyear lederähnliche Materialien auf Pflanzenbasis, Stoffe aus recycelten PET-Flaschen und Mikrofasern sowie hölzerne Dekorelemente aus nachhaltig angebautem Rattan. Das Cockpit des Fünfsitzers mit 640 bis 1.076 Liter großem Kofferraum ist eher klassisch gestaltet. Hinter dem unten leicht abgeflachten Lenkrad sitzt ein Instrumenten-Display. Zentral auf dem Armaturenbrett befindet sich ein 10,1 Zoll großer Infotainment-Touchscreen, über den – ähnlich wie bei Tesla – schnell alle Funktionen gesteuert werden und der das Android-Automotive-Betriebssystem nutzt. Zwischen dem Monitor und der Mittelkonsole mit ihrem Zwölf-Liter-Staufach sind die Drucktasten für die Getriebesteuerung angeordnet.
Als Preisvorstellung wurden zu einem zeitlichen Zeitpunkt 119.000 Euro plus Steuern genannt. Wer den Konfigurator auf der Lightyear-Website aufruft, wird inzwischen gar mit einem Mindesttarif von 250.000 Euro angezeigt. Den Massenmarkt bedient man mit solchen Summen nicht. Aber den wollen die Niederländer sowieso erst Ende 2025 mit ihrem ersten echten Großserienmodell Lightyear 2 in Angriff nehmen.
Sitzprobe im Lightyear-One-Prototyp
Als erste Journalisten überhaupt durften wir im One auch Platz nehmen. Einzige Bedingung: „Bitte seid vorsichtig beim Einsteigen.“ Gesagt, getan und wir sitzen in den bequemen Recaro-Schalen, ohne die breiten und hohen Schweller mit ihrem polierten Aluminium zu zerkratzen. Uns ragt ein sportliches kleines Lenkrad mit Alcantara-Überzug, kleinen Holzapplikationen und zwei kleinen Touchflächen, die mit dem Daumen bedient werden können, entgegen. Cockpit und Armaturenbrett tragen zwei Displays, die leider noch nicht funktionieren, später aber Dienste wie Apple Carplay und Android Auto unterstützen sollen.
Insgesamt wirkt der Innenraum sehr schlicht und aufgeräumt. Die Türen sind mit einem 3D-Gewebe verkleidet, das sich auch über den breiten Mitteltunnel spannt. Er dominiert den Innenraum und ist ebenfalls mit Holzapplikationen versehen. Hinter denen verbergen sich jede Menge Stauraum (bis zu zwölf Liter), Ladeschalen fürs kabellose Laden des Smartphones und drei USB-Anschlüsse. Die Luftigkeit anderer reiner Elektroautos wie Tesla Model 3 oder BMW i3 bietet der Lightyear One aber nicht. Ein weiterer Grund dafür: Wegen der einfachen Fahrzeughöhe und einer Bodenfreiheit von rund 20 Zentimetern bleibt innen nicht allzu viel Platz nach oben. Gerade einmal eine halbe Handbreite bleibt über dem Kopf des 1,80 Meter großen Autors. Und hinten? Trotz der Länge bietet der Fond zwar nicht den Platz eines Skoda Superb, aber ausreichende Beinfreiheit. Allerdings schlägt auch hier wieder die aerodynamische Dachlinie zu und kostet Kopfraum – großgewachsene Passagiere reicht er unter Umständen nicht.
Surfbrett im Kofferraum
Wer sich jetzt fragt, wo der ganze Platz hin ist, wird beim Öffnen des Kofferraums fündig. Der fasst nämlich 780 Liter, mit umgeklappten Sitzen (60:40) sogar 1.701 Liter und ist so lang, dass er ein ganzes Surfboard schluckt, wie während der Präsentation gezeigt wurde.
Bleibt die Frage, wie ein 28-jähriger CEO es schafft, ein Unternehmen mit 100 Mitarbeitern auf die Beine zu stellen, das über 15 Millionen Euro eingesammelt hat und ein Auto bauen will, dass so noch niemand gebaut hat. Auf die Frage weiß Lex Hoefsloot im ersten Moment auch keine Antwort, versucht es dann aber doch. „Wir haben bereits drei Mal (2013, 2015, 2017) die World Solar Challenge war es vielleicht auch ein bisschen unsere Pflicht, es zumindest zu versuchen, das, was mit einem Studentenprojekt begonnen hat, größer zu denken“.
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Fazit
Lightyear zeigt mit dem 0, der früher One hieß, einen interessanten Ansatz zum Thema Elektromobilität: Mit effizientem Design, Lademöglichkeit per 230-Volt-Steckdose und Solarmodulen macht sich der innovative Fünftürer vom Aufbau einer Schnell-Lade-Infrastruktur unabhängig. Der Produktionsstart hat sich allerdings verzögert. Frisches Kapital soll ihn im Herbst 2022 beim finnischen Auftragsfertiger Valmet Automotive ermöglichen. Ab November sollen die ersten Autos ausgeliefert werden.
Quelle: www.auto-motor-und-sport.de