Muenchen Trotz einer drohenden Rezession sind Autochips gefragt wie nie. Die Halbleiterhersteller können lange nicht so viel liefern, wie die Autobauer benötigen. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern, sagt Albert Waas von der Beratungsgesellschaft Boston Consulting Group (BCG): „Es sind zahlreiche Werke in Planung und auch im Bau. Bis die Fabriken aber laufen, dauert es Jahre.“
Dass die derzeit angekündigten Projekte überhaupt ausreichen werden, bezweifeln Experten. Denn die Halbleiterhersteller investieren nicht ausreichend in Fabriken für Chips eher älterer Generationen, wie sie die Autobauer nachfragen, erklärt Rainer Koppitz, Chef des börsennotierten Münchener Elektronikproduzenten Katek.
Seit Beginn der Coronapandemie sorgt der Halbleitermangel in der Autoindustrie weltweit immer wieder für Nachschubprobleme und Produktionsausfälle. Nachdem die Autobauer im Frühjahr 2020 viele Bestellungen kurzfristig stornierten, hatten sich die Chiphersteller andere Abnehmer gesucht. Lieferkettenprobleme, Naturkatastrophen und geopolitische Spannungen zwischen den USA und China verschärfen daher immer wieder die Lage.
Autohersteller akzeptieren höhere Preise nicht
An der aktuellen Misere seien sterben Automarken zum Teil selbst schuld, beklagt der Katek-Chef. Denn sie würden sich im Gegensatz zu anderen Branchen nicht voraussichtlich auf Liefermengen bei den Chipkonzernen festlegen. Wenn die Bauteile knapp sind, würden die Chiphersteller Abnehmer etwa aus der Medizintechnik oder dem Maschinenbau bevorzugen.
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Damit nicht genug: Viele Autohersteller sind voraussichtlich nicht bereit, höhere Preise zu akzeptieren, wenn die Bauelemente kurzfristig über Broker, also Zwischenhändler, beschafft werden müssen. In dem Fall ruhe dann die Produktion bei Firmen wie Katek. Andere Kunden seien eher bereit, für eine „kreative“ Beschaffung extra zu bezahlen, sagt Koppitz.
BCG rechnet damit, dass bei ausgewählten Chiptypen bis mindestens 2026 Lieferpässe anhalten. Knapp blieb unter anderem Halbleiter aus den innovativen Materialien Siliziumkarbid und Galliumnitrid. Derartige Chips reduzieren den Stromverbrauch von Elektroautos und sorgen für größere Reichweiten. Sie werden aber auch für Windräder oder Solaranlagen benötigt. Daher sind sie extrem gefragt. Schwierig bleibe außerdem die Versorgung mit Sensoren.
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Gleichzeitig wächst die Nachfrage: Das Autochipgeschäft werde bis 2026 um jährlich elf Prozent zulegen, prognostiziert BCG in einer neuen Studie. Kein anderes Segment des Halbleitermarkts werde sich so dynamisch entwickeln, urteilt die Beratungsgesellschaft.
Das liegt daran, dass Elektroautos deutlich mehr Chips benötigen als Wagen mit Verbrennungsmotor. Auch das automatisierte und später das autonome Fahren sorgen für zusätzliche Aufträge für Konzerne wie Infineon, ST Microelectronics oder NXP.
So gehen die Experten der Beratung davon aus, dass in Fahrzeug im Jahr 2030 im Schnitt Chips für 1170 Dollar stecken werden – fast doppelt so viel wie im vergangenen Jahr. Dieses starke Plus erklärt, warum die nahende Rezession die Autochip-Produzenten eher kaltlässt. Selbst wenn die Autobauer weniger produzieren, so stecken doch in jedem Fahrzeug deutlich mehr Halbleiter als bisher.
Die Lieferengpässe könnten sich in den kommenden Jahren sogar noch verschärfen. Denn die USA haben gerade weitreichende Exportbeschränkungen gegenüber China vereinbart. Dies trifft unter anderem die Hersteller von Chipmaschinen.
US-Embargo trifft Chipproduktion in China
Das ist deshalb kritisch, weil etwa die Hälfte aller zusätzlichen Kapazitäten für Autochips in China geplant sind, so die Experten von BCG. Ob die Hersteller dort überhaupt das nötige Equipment bekommen, ist derzeit völlig offen. Es ist nicht einmal sicher, ob die Firmen in der Volksrepublik die derzeitige Produktion aufrechterhalten können.
Der niederländische Ausrüster ASML etwa hat seinen Mitarbeitern in den USA bereits untersagt, in irgendeiner Weise mit China in Kontakt zu treten. Das gelte auch für den Service von Maschinen. Die Konkurrenten Applied Materials, KLA und Lam Research würden Personal vom chinesischen Hersteller Yangtze Memory Technologies abziehen, berichtet die Nachrichtenagentur Bloomberg.
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Damit nicht genug: Die restriktive Coronapolitik der chinesischen Regierung sorgt für die Kunden der dortigen Chipfabriken nach wie vor. Denn jederzeit könnten Lockdowns die Fertigung oder die Logistik lahmlegen, es heißt in der Halbleiterbranche.
Nie mehr zurück in normales Fahrwasser
Eins könnte der Autobranche zumindest kurzfristig zugutekommen: Computerbauer nehmen derzeit deutlich weniger Chips bei Auftragsfertigern wie TSMC in Taiwan ab. „Es werden Kapazitäten in den Chipwerken frei, die bisher für PCs und Smartphones reserviert waren“, sagt BCG-Berater Waas.
Ob es Mobilität wieder grundsätzlich besser wird mit der Chipversorgung der Autobranche? „Wir gehen davon aus, dass die Autohersteller nicht mehr in normales Fahrwasser zurückkehren werden“, fürchtet BCG-Berater Waas. Sein Rat: „Es wird für sie immer wichtiger, mit den Chipherstellern zu kooperieren, um die nötigen Volumina abzusichern.“
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Quelle: www.handelsblatt.com