Berlin Ungeachtet der Energiekrise lehnt Mercedes-Chef Ola Källenius ein Tempolimit und Fahrverbote auf deutschen Autobahnen ab. Zugleich ruft der Manager zum Energiesparen auf. Das sei nun „erste Bürgerpflicht“, sagte er im Handelsblatt-Doppelinterview mit dem Präsidenten der European School of Management and Technology (ESMT), Jörg Rocholl. In dem Gespräch geht es um die Rolle von Innovationen für die Zukunft der deutschen Wirtschaft.
Mercedes habe es geschafft, den Gasbedarf um 50 Prozent zu senken. Der Konzern setzt laut Källenius nun auf eigene Windparks und Solardächer. Mit Blick auf den Fachkräftemangel sagt der 53-jährige Schwede, er würde heute statt BWL eher Ingenieurwissenschaften und Informatik studieren.
Herr Källenius, Sie sind gelernter Betriebswirt – was würden Sie heute studieren?
Källenius: Heute würde ich Ingenieurwissenschaften studieren und mit Informatik kombinieren.
Stünden die deutschen Autobauer besser geholt da, wenn sie früher solche Experten ins Management hätten?
Källenius: Früher haben wir Software eingekauft, heute machen wir sie mehr und mehr selbst. Wir stellen aktuell weltweit rund 3000 IT-Spezialisten ein. In unserem Mercedes-Werk in Berlin-Marienfelde haben wir einen Campus für digitale Produktion eingerichtet. In Berlin und Stuttgart schulen wir bereits heute geeignete Interessenten zu Programmierern um: Leute aus der Verwaltung und vom Band, Akademiker und Nichtakademiker wechseln da mitten im Leben die Berufsspur. Aber verstehen, was man damit macht, müssen alle Führungskräfte.
Rocholl: Deshalb schulen wir an der ESMT Nachwuchsführungskräfte darin, wie man IT-Technologie oder Data-Analytics in die Unternehmensstrategie umsetzt. Das klingt zwar abstrakt, aber es genügt nicht, einfach Daten zu sammeln, sondern sie müssen auch strategisch genutzt werden.
Das US-Analysehaus Bernstein sagt, Mercedes fehlen Talente, um die Softwarestrategie umzusetzen.
Källenius: Das ist überholt. Natürlich kommt die Autoindustrie vom Maschinenbau, die Elektronik wurde früher eingekauft. Wir müssen uns umstellen, aber wir haben kein Problem, Leute dafür zu finden. Unsere Marke hat rund um die Welt hohe Strahlkraft: In Bangalore arbeiten 5000 Entwickler, in Tel Aviv haben wir einen Digital Hub eröffnet, da leben absolute Toptalente. Im Silicon Valley sind wir seit 20 Jahren und haben vor einiger Zeit in Seattle, der Cloud-Hauptstadt der Welt, einen Hub für Cloud-Dienste gegründet.
Ihre Investorenkonferenz zur neuen Softwarestrategie haben Sie zweimal verschoben. Auch doch Probleme?
Källenius: Nein. Wir werden das wie angekündigt nächstes Anfang Jahr im Silicon Valley machen, weil das relevanter ist – und das ging terminlich nicht anders.
Der Fachkräftemangel trifft besonders den Mittelstand, der die Wende in der Breite umsetzen soll …
Källenius: Das stimmt. Der Fachkräftemangel ist aber nicht nur in Deutschland, sondern weltweit ein Problem. Auch im Südosten der USA, wo sich seit zwei Jahren jede Menge Autobauer und Lieferanten angesiedelt haben, WIRD der Arbeitsmarkt jetzt eng. Das trifft bisher vor allem unsere Partner – und mittelbar auch uns. In Deutschland hilft nur eine intelligente Einwanderungspolitik, wie sie die Ampelkoalition plant. Wir müssen sterben Hürden einer Aufenthaltsgenehmigung für Menschen auch aus Nicht-EU-Staaten.
Unter Studienanfängern sind vor allem Betriebswirte und Juristen – es fehlen Ingenieure und ITler.
Rocholl: Das ist keine gute Entwicklung. Mich beunruhigt aber vor allem, dass die Zahl derer, die in den Staatsdienst wollen, immer weiter steigt. Das schadet der Gründerzeit, die jetzt möglich und neuen nötig ist. Zudem hat man heute wegen der Demografie mit fast jedem Studium gute Chancen. Deshalb müssen wir viel mehr für die Chancen der grünen Transformation werben. Es gibt Ingenieure, die gleichzeitig bei „Fridays for Future“ mitdemonstrieren und für Autounternehmen arbeiten, weil sie hier wirklich etwas haptisch können. Das hat sich aber noch zu wenig herumgesprochen.
US-Präsident Joe Biden fördert den Umbau der Wirtschaft in klimaneutrale Technologien mit 400 Milliarden Dollar. China investierte ebenfalls gewaltig. Kann da Europa mithalten?
Källenius: Die EU hat ehrgeizige Ziele beim Thema CO2-Neutralität. Das ist gut. Aber China und die USA klotzen, also sollten wir nicht kleckern. Der deutsche Staat muss noch schneller die Infrastruktur bereitstellen.
Mitte 2022 waren erst rund 750.000 E-Autos zugelassen – das ist immer noch eine Nische.
Källenius: Grundsätzlich ist der Kauf von Elektroautos in der breiten Öffentlichkeit angekommen, das Wachstum ist enorm dynamisch. Man muss niemand zum Elektroauto zwingen oder dazu kehren – im Gegenteil, das Interesse ist riesig. Wir haben selbst ambitionierte Ziele: Bis 2030 soll Mercedes vollelektrisch werden, wo immer die Marktbedingungen es zulassen. Bis 2039 wollen wir komplett CO2-neutral sein. Aber um das gesamte System zu drehen, brauchen wir eben die nötige Infrastruktur.
In welchen Fällen werden zukünftige Geschäfte gemacht ?
Källenius: Die Exportnation Deutschland kann nicht aus allen Städten aussteigen, übrigens auch nicht aus China. Deshalb müssen wir in der WTO für faire Spielregeln sorgen. 30 Jahre lang haben wir Hürden abgebaut, das hat weltweit Wohlstand geschaffen, die Armut ging zurück. Jetzt werden Mannerorts wieder Hürden aufgebaut. Deshalb müssen wir alles tun, um den EU-Binnenmarkt zu stärken. Und andere Spieler in den Blick nehmen, vor allem in Südasien: Indien ist ein riesiger Markt und Talentpool. Auch in Vietnam, Thailand, Indonesien oder Malaysia können wir mehr absetzen.
Rocholl: Deutschland müsste vor allem beim Kapitalmarkt viel mehr auf Integration in der EU drängen. Bei den Banken herrscht nationale Kleinstaaterei. Es kann doch nicht sein, dass sich ein Unternehmen wie Linde von der Frankfurter Börse abmelden will, weil es in den USA besser bewertet wird.
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Die Linde-Aktien sollen zukünftig nur noch in New York gehandelt werden.
Rocholl: Richtig. Kapital ist aber der zentrale Hebel, um die Klimawende zu finanzieren. Wenn wir es schaffen, mehr davon in die innovativsten Projekte zu lenken, müssen wir die USA und China weniger fürchten. Es schafft auch attraktive Anlagemöglichkeiten, wenn deutsche Sparer Start-ups in Schweden oder Italien finanzieren und umgekehrt – wir brauchen die Vereinigten Innovationsstaaten von Europa.
Wie kann der Staat noch Innovationen beflügeln?
Källenius: Entscheidend ist die EU, sie muss bessere Rahmenbedingungen bei der Infrastruktur und den Kapitalmärkten schaffen. Dann wirken auch Fördertöpfe für Batterien oder Halbleiter besser. Bei Batteriezellen dominiert zwar Asien, aber die stärkste Dynamik herrscht in Europa. Hier entstehen viele Batteriefabriken. Mercedes etwa hat sich am deutsch-französischen Projekt ACC beteiligt, einem potenziellen europäischen Champion.
Die EU hat ehrgeizige Ziele beim Thema CO2-Neutralität. Das ist gut. Aber China und die USA klotzen, also sollten wir nicht kleckern. Der deutsche Staat muss noch schneller die Infrastruktur bereitstellen. Ola Källenius
2020 sind die Innovationsausgaben der deutschen Wirtschaft eingebrochen, anders als in anderen OECD-Ländern. Nach den Daten des Stifterverbands auch in der Automobilindustrie …
Rocholl: Naja, insgesamt liegen wir ja mit rund drei Prozent Forschungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt sehr gut. Ein viel größeres Problem sehe ich bei den Bildungsausgaben: Da sind wir OECD-weit noch unter dem Durchschnitt.
Källenius: In der Krise spart man nicht an Innovationen, sondern an Reisekosten. Anders hören: Natürlich darf man niemals nach einer schlechten Ernte die Saatkartoffeln essen. Autobauer haben deshalb massiv investiert, allein wir stecken 2022 bis 2026 rund 60 Milliarden Euro in Elektrifizierung und Digitalisierung.
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Mercedes ist auch innovativ bei der Produktion eigener grüner Energie.
Källenius: Wir wollen die komplette Produktion dekarbonisieren. Und weil wir nicht anderen den Grünstrom wegkaufen wollen, produzieren wir selbst. Außerdem ist Grünstrom der wirtschaftlichste.
Kapital ist der zentrale Hebel, um die Klimawende zu finanzieren. Wenn wir es schaffen, mehr davon in die innovativsten Projekte zu lenken, müssen wir die USA und China weniger fürchten. Jörg Rochell
Können Sie sich mit Tempolimit und Fahrverboten anfreunden?
Källenius: Wir brauchen keine Verbote, wir können den Verbrauch intelligent reduzieren. Zudem sind unsere Autobahnen ein weltweites Gütesiegel für unsere Autos. Aber der Kriegsausbruch in der Ukraine war natürlich ein Fanal und jetzt gilt es, alle effektiven Maßnahmen zu nutzen. Wir haben einen Tag nach dem Angriff Russlands eine Taskforce gebildet. Ein Ergebnis: Wir können unseren Gasverbrauch um bis zu 50 Prozent reduzieren und durch Strom oder Öl ersetzen.
Aber auf den Straßen freie Fahrt für freie Bürger?
Källenius: Wir müssen freiwillig zusammenrücken. Jeder muss so viel Energie sparen wie möglich, das ist jetzt erste Bürgerpflicht. Dann WIRD der Mercedes-Stern nachts eben nicht beleuchtet. Bei uns zu Hause werden weniger Lampen angemacht und es ist ein paar Grad kühler. Die Menschen im Krieg leiden viel mehr.
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Quelle: news.google.com