Das Unwort vom »Handelskrieg« macht derzeit die Runde in Brüssel. Dabei fahren die Gegner in diesem Konflikt keine Panzer und Geschütze auf, sondern Elektroautos. Denn Auslöser für die jüngsten Spannungen zwischen Brüssel und Washington ist das im August vom US-Kongress verabschiedete Inflationsreduktionsgesetz, kurz IRA. Das komplexe Paket enthält unter anderem 370 Milliarden Dollar an Zuschüssen und Steuererleichterungen, mit denen Klimaschutz und Energiesicherheit vorangebracht werden sollen. Der eigentliche Knackpunkt sind die darin übereinstimmenden Subventionen für Elektroautos und Batterien, die unter dem Motto »Buy American« stehen. So gibt es beim Autokauf voraussichtliche Steuererleichterungen bis zu 7500 Dollar, wenn die wesentlichen Teile des Elektrofahrzeugs in den USA hergestellt wurden. Es gibt auch starke Anreize und Verpflichtungen für die Konzerne, ihre Produktion in den Vereinigten Staaten zu verlagern. Beobachter sprechen von einem gigantischen Reindustrialisierungsprogramm.
Europäische Regierungen sehen hier eine Benachteiligung der eigenen Konzerne. So bezeichnete Frankreichs Präsident Emmanuel Macron das Paket als »superaggressiv«. Das Thema dominierte auch die Tagung des europäisch-US-amerikanischen Handels- und Technologierats am Montag in Washington. »Das Treffen war wenig erfolgreich«, erklärte der Bundesverband der Deutschen Industrie hinterher.
Das kam nicht überraschend. Bereits Macron hatte bei seiner USA-Reise in der Vorwoche erfahren müssen, dass Washington nicht bereit ist, hier im Sinne der EU nachzubessern. So zitierte die Deutsche Welle den einflussreichen Senator Ron Wyden mit den Worten: »Der Kongress hat das Gesetz verabschiedet, um die amerikanische Autoindustrie zu fördern, gut bezahlte Jobs in Amerika zu schaffen und gleichzeitig den Klimawandel zu bekämpfen. Ich habe nicht die Absicht, es wieder aufzuschnüren.« Wyden ist nicht nur Vorsitzender des Senatsfinanzausschusses, sondern auch Mitglied der Demokratischen Partei von Präsident Joe Biden.
Und so ging Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits am Sonntag in die Offensive und kündigte an, dass die EU reagieren werde. Sie warb dafür, das EU-Beihilferecht zu lockern, um mehr Subventionen für die europäische Industrie zu ermöglichen. »Wir müssen unsere eigenen Regeln anpassen«, unterstrich die Christdemokratin. Außerdem brachte sie eine gemeinsame Anleihe ins Spiel, um die Milliarden aufzutreiben. Industriekommissar Thierry Breton ging ins Detail und forderte in einem Interview mit dem französischen Magazin »Journal du Dimanche« einen schuldenfinanzierten EU-Souveränitätsfonds, aus dem sich die europäische Industrie bedienen soll. Insgesamt 350 Milliarden Euro, also rund zwei Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts, sollen über den Fonds abgerufen werden können, um so mit den USA gleichzuziehen, so der ehemalige französische Finanzminister.
Hier bahnt sich aber neuer Streit in der EU an. So sprach sich Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) gegen den Staatsfonds und »die gemeinsame europäische Schuldenaufnahme« aus. Solange die Deutschen ihre Staatsschulden günstig finanzieren können, sehen sie offensichtlich keine Notwendigkeit zum Handeln. Doch vom Tisch ist das Thema nicht: Auf einem zweitägigen Treffen der EU-Finanzminister, das am Montag in Brüssel begann, sollte über den Fonds zumindest diskutiert werden. Zu den Fans gehören die Regierungen Frankreichs, Italiens und Spaniens.
Auch in der Frage, wie die Europäer auf die Kampfansage aus Washington sollen, zeigen sich Paris und Berlin uneins. Während die Deutschen auf Verhandlungen setzen, geben sich die Franzosen kampfbereit. Macron drohte damit, die USA vor der Welthandelsorganisation (WTO) zu verklagen. Berlin weist darauf hin, dass Washington einlenkt und die EU wie einen Staat behandelt, mit dem es ein Freihandelsabkommen gibt. Denn Mexiko oder Kanada, die mit den USA eine gemeinsame Freihandelszone bilden, sind von den Regelungen des IRA ausgenommen. Anschließend produzieren viele US-Autokonzerne im Bestand Niedriglohnland Mexiko. Zumindest aber wartet man in Brüssel und Berlin, dass man sich mit Präsident Biden auf Übergangsfristen für europäische Konzerne kann.
Der Vorsitzende des Handelsausschusses im EU-Parlament, Bernd Lange, ist da weniger optimistisch. Im Gespräch mit den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte der deutsche Sozialdemokrat am Montag, er glaube nicht, »dass sich substanziell noch viel ändert, denn das Gesetz ist ja bereits beschlossen«. Auch Lange plädiert nun für eine Klage vor der WTO. Der Bundesfinanzminister setzt dagegen immer noch auf »Wirtschaftsdiplomatie«.
Quelle: news.google.com